Kunigunde Kusnik (+1996) hat 1984 sehr anschaulich aufgeschrieben, wie sie in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Kind in unserem "Nachbardorf" Aichig die Weihnachtszeit erlebte.
Auch wenn die Beschreibung nicht von St. Johannis handelt, ist sie doch eine gute Ergänzung zu den anderen Berichten über das alte Dorf. Die damaligen Lebensumstände und vergessene alte Bräuche sind detailreich und gefühlvoll beschrieben. Vielen Dank an Familie Kusnik in Aichig, dass der Text hier veröffentlicht werden kann.
Weihnachten und Neujahr wie es damals war
In einer kleinen Landwirtschaft aufgewachsen, will ich nachstehend die Weihnachtszeit der 20er und 30er Jahre schildern, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung habe.
War das Brennholz für das kommende Jahr in der Vorweihnachtswoche mit der Ziehsäge gesägt, klein gehackt und im Hof zu einem Holzstoß aufgeschichtet, gab es draußen keine Arbeit mehr zu tun und die Weihnachtsvorbereitungen konnten beginnen. Als erstes wurden die Stollen gebacken und zwar in der großen Ofenröhre des Kachelofens, der in der Küche stand. Man musste schon aufpassen beim Schüren, dass man nichts zu viele Holzscheite auf einmal auf das Feuer legte, denn schnell waren die Stollen zu braun. Genauso aufpassen musste man an den nächsten Tagen beim Plätzchen backen. Und nur diejenigen, die bei aller Vorsicht doch etwas angebrannt waren, durften wir Kinder gleich essen. Die anderen wurden für die Feiertage aufgehoben.
In dieser Woche war auch noch einmal großer Waschtag, denn in den zwölf Rauhnächten durfte keine Wäsche aufgehängt werden. Es hieß: So viele Wäschestücke man über Nacht hängen lässt, so viele Viehhäute müsste man im kommenden Jahr zum Trocknen aufhängen (also so viel Vieh müsste man notschlachten. Auch Brot wurde an den Rauhnächten nicht gebacken. Am 21. Dezember, dem Thomastag, durfte nicht gestrickt oder geflickt werden, denn: „Wer strickt und flickt am Thoma, der muss vorkumma und verlohma“.
Einen Tag später ging es dann ans Gänseschlachten. Am Tag vor dem Heiligen Abend trug man sie mit dem Buttenkorb zu Fuß in die Stadt, meist zu den Familien, zu denen man das ganze Jahr über Butter und Eier brachte. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir einmal eine Gans für uns selbst gebraten hätten. Sie wurden alle verkauft, denn das Geld war rar in einer so kleinen Landwirtschaft. Nur ein „Gansjung“ (Innereien und andere restliche Teile) behielten wir für uns, das es dann am Heiligen Abend mit schwarzer Soße und Spülweckla zu essen gab.
Das Mittagessen bestand an diesem Tag immer aus Erbsensuppe und gehobeltem Sauerkraut, doch gab es dazu weder Fleisch noch Wurst. Zu dem oben genannten Gansjung wurden abends noch gekochte, selbst gedörrte Zwetschgen, Hutzeln und Späkla (Apfelspalten) gegessen. Die Zwetschgensteine und Hutzelstiele streute man nachher im Garten unter die Obstbäume, damit diese im folgenden Jahr wieder reichlich Frucht tragen sollten. Das Vieh im Stall bekam abends ein Extra-Futter, das „Gleck“: Es wurden in einer Backschüssel Körner von allen Getreidearten gemischt, welche auf den Feldern angebaut worden waren worden waren. Diese wurden dann an das Vieh verteilt.
Waren Mensch und Vieh versorgt, ging die ganze Familie in die Wohnstube, wo der Christbaum schon geputzt war. Das hatte meistens nachmittags der Großvater getan, wenn wir Kinder beim Schlittenfahren oder auf dem Weiher beim Hätscheln waren. Zwar war unser Christbaum keine Tanne, sondern nur eine Fichte, die auf der Eckbank hinter dem großen Tisch stand, doch bestaunten wir ihn alle Jahre wieder mit großer Freude.
Als Geschenke gab es für die Kinder hauptsächlich nützliche Sachen: eine Wolljacke, eine Mütze, Schal, Handschuhe. Zum Spielen bekamen die Buben einen Baukasten, ein Holzpferdchen, eine Mundharmonika, Malstifte; die Mädchen eine Puppe, ein Handarbeitskörbchen, ein Deckchen zum Aussticken, ein Poesiealbum. Die Erwachsenen wurden nicht beschenkt, nur die Großmutter und der Großvater erhielten ein warmes Kleidungsstück oder warme Hausschuhe - manchmal auch eine Flasche Wermutwein. Die Spielsachen wurden - sobald der Winter vorüber war - wieder aufgehoben und nächstes Jahr legte das Christkind den Baukasten und die Puppe wieder unter den Christbaum.
Wenn ich an die vielen vielen Spielsachen meiner Enkel denke, dann war das, was wir an Spielzeug hatten, ja sehr sehr wenig. Und doch waren auch wir glücklich bei dem Wenigen.
Hatten wir nun die bunten Kugeln, die gläsernen Vöglein mit den wippenden Schwänzchen, die glitzernden künstlichen Tannen- und Eiszapfen an den Zweigen unseres Christbaums genügend gewundert, hatten wir auch einmal in die kleine Trompete geblasen und mit den Glöcklein geklingelt, die auch am Baum hingen, und hatten wir mit Puppe und Baukasten lange genug gespielt, dann brachte die Mutter einen Krug Punsch und es gab dazu die selbstgebackenen Plätzchen. Danach wurden die Kerzen am Baum angezündet. Großvater nahm seine Geige aus dem Geigenkasten und begann Weihnachtslieder zu spielen, in die wir alle froh mit einstimmten. Damit ging der Heilige Abend zu Ende und glückselig und zufrieden schlüpften die Kinder in unsere mit der Wärmflasche angewärmten Betten.
Am 1. Weihnachtsfeiertag durften wir, wenn der Winter nicht gar zu sehr stürmte, mit dem Vater oder dem Großvater zur Kirche gehen. Wie gut schmeckte uns dann nach dem langen Heimweg das Mittagessen! Es gab Kartoffelklöße mit Sauerkraut, dazu Schweinsbraten aus ein und ein viertel Pfund Bauchfleisch (das eigene Schwein wurde erst im Januar geschlachtet), zu dem der Metzger noch ein halbes Schweinefüßchen als Dreingabe gelegt hatte. Das musste für sechs Personen reichen - und auch noch für die Abendmahlzeit, denn da wurden die übriggebliebenen Klöße gegessen wie an jedem anderen Sonntag auch. Zu trinken gab es nichts; wer Durst hatte, schenkte sich einen Becher voll Malzkaffee ein aus dem dickbäuchigen, braunen, irdenen Krug welcher den ganzen Tag zu warmhalten auf dem Kachelofen stand.
Am zweiten Feiertag besuchten wir die Großeltern mütterlicherseits. Das war schon ein großes Erlebnis, denn außer dem Schulausflug kamen wir Kinder ja nur selten einmal aus unserem Dorf heraus. Wir fuhren dorthin drei Stationen mit mit der Eisenbahn und dann hatten wir noch einen Fußweg von einer Stunde zurückzulegen, der durch einen meist herrlich verschneiten Winterwald führte. In besonderer Erinnerung ist mir der Christbaum bei meinen Großeltern geblieben. Er war nicht wie bei uns zu Hause mit gläsernem Schmuck behängt, sondern mit roten Äpfel und vergoldeten Walnüssen; auf seine Zweige waren weiße Papierrosen gesteckt. Die Rosen wurden von den Frauen und Mädchen am Thomastag gemacht, an dem ja wie schon erwähnt nicht gestrickt und nicht geflickt werden durfte.
In diesem kleinen Bauerndorf waren damals auch noch einige alte Bräuche lebendig, die wir daheim nicht mehr kannten. So kam zu den Kindern nicht der Pelzmärtel sondern eine vermummte Gestalt die Perra. Auch wurden die Kinder noch mit den Worten ermahnt: „Wenn ihr nicht brav seid, kommt die Perra!“
In den zwölf Rauhnächten nahm man alle Sensen, Rechen, Gabeln und Hauen ab, die an den Scheunenwänden aufgehängt waren, und legte sie auf den Boden, damit sich die „Wilde Jagd“ nicht darin verfangen konnte, wenn sie nachts durch das Dorf brauste.
In der Neujahrsnacht versammelte sich die Jugend um die alte Dorflinde mitten im Ort und es wurde um 12 Uhr der Choral „Nun danket alle Gott“ gemeinsam gesungen. Der Weg in das in das eine Stunde entfernte Kirchdorf waren nachts durch verschneite Feld- und zugewehte Hohlwege zu weit und zu beschwerlich.
Der Silvesterabend, damals Neujahrs-Heiligabend genannt, verlief ähnlich wie der Weihnachts-heiligabend. Das Mittagessen bestand wiederum aus Erbsen und Sauerkraut und das Vieh erhielt auch an diesem Tag sein Gleck. Am späten Nachmittag durften wir Kinder wieder mit zur zur Kirche gehen. An den halbstündigen Heimweg, der uns in der Dunkelheit an Häusern und Gehöften vorbei führte denke ich noch heute gern, denn hinter den Fenstern waren die Kerzen der Christbäume angezündet und hie und da flammte auch eine Wunderkerze auf. Mir kam damals immer das Gedicht von Joseph Freiherr von Eichendorff in den Sinn, das wir ja in der Schule auswendig gelernt hatten:
„Markt und Straßen stehn verlassen,
still erleuchtet jedes Haus.
Sinnend geh ich durch die Gassen,
alles sieht so festlich aus.“
Am Abend kamen meist Verwandte aus dem Dorf zu uns, um mit uns gemeinsam die Stunden bis zum Beginn des neuen Jahres zu verbringen. Wieder wurde Punch gekocht und es gab dazu Weihnachtsplätzchen. Mit Erzählen oder mit einem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel verging schnell die Zeit, bis die Kirchenglocken, die wir von St johannis oder bei Ostwind von Neukirchen her hörten, das neue Jahr einzuläuten begannen. Wir gingen dann alle vor die Haustür und wünschten uns gegenseitig ein „gesundes neues Jahr“ - nicht ein „erfolgreiches neues Jahr“ auch nicht „einen guten Rutsch ins neue Jahr“, sondern ganz schlicht und einfach ein gesundes neues Jahr. Sobald die Kirchenglocken ausgeläutet hatten, war alles still. Von Feuerwerk und Knallfröschen sah und hörte man bei uns hier auf dem Land nichts. Man ging dann bald zu Bett.
Am Neujahrstag musste ja beizeiten wieder aufgestanden und das Vieh gefüttert werden. Auch kamen immer schon sehr früh einige Neujahrswünscher und man hätte sich geniert noch im Bett zu liegen. Im Laufe des Vormittags durften wir Kinder dann zu den Nachbarn gehen die Buben zum Neujahrwünschen, die Mädchen zum „Peitschen“. Dazu hatten wir ein Sträußchen aus Fichtenzweigen und Geranienblüten (von den überwinterte Geranienstöcken) zusammengebunden. Mit dieser Gerte „peitschten“ wir die Hand der Nachbarin und des Nachbarn und sagten dabei ein Sprüchlein auf:
Ich peitsch dich mit an grüner Stengel,
bist su schee als wie a Engel,
bis so schee wie Milch und Blut,
wenn dich wenn ich dich siech, dann bin ich dir gut.
oder:
Fitzl, fitzl, Krona
ich Peitsch dich net ums Lohna,
ich Peitsch dich nur ums aus Höflichkeit,
dir und mir zur Gesundheit.
die Buben sagten:
Ich wünsch euch a gsunds neis Jahr,
an Stoll vull Hörner,
an Budn vull Körner,
an Beitel voll Geld,
dass des ganze Johr nix fehlt.
oder:
Ich bin ein kleiner Mann,
der nicht viel wünschen kann.
Gott geb euch seinen reichen Segen,
Fried, Gesundheit, langes Leben!
Das ist mein Wunsch zum neuen Jahr,
Prost Neujahr!
Hatten wir dann als Belohnung ein Stück Stollen, ein Plätzchen, einige Äpfel oder einmal auch ein Markstück erhalten, ging's ins nächste Haus weiter.
Mit dem 6. Januar, der damals „der Oberst“ hieß und noch kein Feiertag gewesen ist, ging die Weihnachtszeit zu Ende. Noch einmal wurde abends Punsch gekocht, denn man musste sich an diesem Tag „die Stärke antrinken“. Dazu wurden die letzten Weihnachtsplätzchen verzehrt. Übrigens waren die drei Tage Weihnachts-Heiligabend Neujahrs-Heiligabend und der 6. Januar die einzigen Tage im Jahr - außer der Kirchweih - an denen ein alkoholisches Getränk in der Familie getrunken wurde.
Wenn es auch einfache - wir würden heute sagen ärmliche - Verhältnisse waren, unter denen wir damals lebten, denke ich doch gerne zurück an Weihnachten, wie es damals war.
Kunigunde Kusnik, Aichig 1984